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Franz Maurer
Die Wenden der Niederlausitz - Seite 4

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Im Ganzen hat der Wende mehr Anlagen zum Deutschen als der Pole, denn er liebt seine Scholle leidenschaftlich und behandelt all sein Hab und Gut, besonders Acker und Vieh, mit größter Sorgfalt. Überdies ist er fleißig, ausdauernd, sparsam bis zum Geiz, genügsam und anstellig – alles Eigenschaften, die ihn vorwiegend zum Landwirt befähigen, woher es auch kommt, dass sein Sprachwechsel nicht durch Verlust seines Grund und Bodens an Deutsche bewirkt wird, wie in den polnischen Bezirken. Die alte Säufer- und Spielergeneration unter den Wenden nimmt immer mehr ab und wird bald gänzlich verschwinden; sie war einstmals sehr zahlreich vorhanden. Außerdem ist der Wende verschmitzt oder schlau, weshalb er sich auch trefflich zum Kleinhändler eignet und es mit diesem Geschäft immer zu etwas bringt. Bei festlichen Gelegenheiten tun sich die Leutchen reichlich an Speise, Trank und anderen Genüssen zu Gute, doch nie bis zur sinnlosen Verschwendung, obwohl sie sich im Rausch etwas freigiebiger zeigen, besonders im Austeilen von Prügeln; denn bei all ihrer Heiterkeit sind sie doch sehr kampflustig und ein ordentliches Lustigsein muss mit einer freien Rauferei abschließen.

Die Wenden sind keineswegs ein hässlicher Menschenschlag, vielmehr übertreffen sie das niedere polnische Volk¹ weitaus in körperlichen Vorzügen. Die Männer sind meistens hoch gewachsen, stark gebaut, eher hell als dunkel von Haar und Augen, und haben selten abstoßende Gesichtszüge, im Allgemeinen freilich auch keine besonders anziehenden. Stumpf-, nicht Plattnasen, starke Backenknochen, breite Kinnladen sind häufig; im Allgemeinen sind die Gesichter ausdruckslos, wenigstens ist es schwer, “Tücke und Verschmitztheit” herauszulesen. Sie machen bis zum vorgerückten Alter den Eindruck des Jugendlichen, besonders unter einer Mütze, welche die frühzeitig eintretenden Runzeln der mittelhohen Sitrn verdeckt. Ausnahmsweise stößt man auf Schwarzköpfe mit so alten, finster-nachdenklichen Gesichtern, dass man Greise vor sich zu haben wähnt, während die Betreffenden doch erst Jünglinge im Anfang der zwanziger Jahre sind. Auf mich machten diese Leutchen, welche gewöhnlich von unansehnlicher, verbutteter Gestalt sind, den Eindruck von Nachkommen jener menschenfeindlichen Czorneboh-Priester, welche am zähesten den alten Glauben und die Slawensitte verteidigten. Es ist meinerseits keine Selbsttäuschung, wenn ich gefunden habe, dass ich einzig und allein bei diesen runzligen Männchen zwar keinen Nationalstolz, aber ein wendisches Sprachenbewusstsein, eine Liebe zur Muttersprache bemerkt habe, die sich sogar beim Militär äußerte. Die wirklich alten Leute dieses Schlages machen einen widerlichen Eindruck mit ihrem gesprenkelten, schlecht rasierten Bart und hässlichen, besonders Habgier ausdrückenden Zügen. Der Wende hat im Allgemeinen keinen starken Bartwuchs und rasiert sich vollständig. 

Es gibt auch unter den Wenden, wiewohl sehr vereinzelt, imponierende Erscheinungen, deren ich einige im Spreewald antraf. Es waren dies Männer von beinahe 6 Fuß (rheinländisch)² hohem Wuchs, schlank und dabei breitschultrig, blond, mit edel und kühn geschnittenem Gesicht, mittelhoher Stirn, Adlernase, starkknochigem, vortretendem Kinn und dem weitsichten, durchbohrenden Blick eines hungrigen Falken. Besonders ein alter Kerl dieser Art gefiel mir ausnehmend. Ich traf ihn im Spreewald in der Kolonie des Hauptdorfes Burg, welches nahe an 3000 Einwohner zählen mag und als einer der Hauptstützpunkte des wendischen Lebens gelten kann. In Burg, überhaupt im Spreewald und in dessen nächster Nachbarschaft, habe ich auch viele Männer mit langen, geraden Nasen getroffen, die eine so auffällige Familienähnlichkeit hatten, dass ich sie sämtlich für Brüder und Vettern hätte halten können. 

Wer übrigens mit Sicherheit echte wendische Typen finden will, muss den Spreewald besuchen, denn dort hat sich das wendische Blut nachweislich unvermischt erhalten; selbst der Dreißigjährige Krieg hat in diesen abgelegenen und unzugänglichen Winkel keine fremden Elemente gelangen lassen. Mein wendischer Führer schien etwas derartiges zu fühlen, denn er sagte mir mit gewissem Selbstbewusstsein: “Hier sind keine Fremden, hier hinein heiratet kein Deutscher und keine Deutsche!” Seitdem ich im Spreewald war, habe ich auch erst einen zuverlässigen Schlüssel für das Verständnis der Physiognomien im nordöstlichen Deutschland rechts der Elbe, und daraufhin glaube ich behaupten zu können, dass kaum ein Viertel der Bewohner dieser Lande frei ist von wendischer Beimischung, obwohl ein gewisses Buch, das mit großartigem Aufwand von Gelehrtheit und Scharfsinn verfasst ist, die Behauptung aufstellt, nur ein Zehntel der Einwohner der Mark Brandenburg sei wendischen Ursprungs.

Unter den Weibern habe ich zwei Typen vorherrschend gefunden, deren einer keine weitere Beschreibung verdient, da er genau derselbe ist, welcher sich über das ganze nordöstliche Deutschland verbreitet findet und als derbes, “echtes Bauernfraugesicht” allgemein bekannt ist, ein Beweis für den überwiegend wendischen Ursprung unserer Landbevölkerung. Die andere Physiognomie ist schwierig zu beschreiben. Man denke sich ein ovales, etwas breites Gesicht, unter dessen wenig markierten lichten Augenbrauen ein paar blaue Augen ohne jeden anderen Ausdruck als den der Schüchternheit und Besorgtheit hervorschimmern, dazu ein Stumpfnäschen und ein beständig geschlossener Mund, dessen Lippen in den Mundwinkeln sehr schmal sind und zur Mitte hin bedeutend anschwellen. Ein rundes Kinn schließt dieses Gesicht ab, aus dem nichts herauszulesen ist als Ängstlichkeit und in gewissen Momenten vorübergehend List.

¹ - Bekanntlich bestehen die Polen aus zwei Rassen, von denen die "ritterliche" oder herrschende körperlich ausnehmend schön ist.

² - Ein Rheinfuß entspricht 31,385 cm, 6 Fuß sind also 1,88 Meter.


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